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„ Wir Müssen Zum Offenen Europa Zurück“ : CSU-Spitzenkandidat Manfred Weber Zur Europawahl

Manfred Weber über Grenzkontrollen, das Bündnis von Sahra Wagenknecht, die Wahlchancen der AfD und die Kontrolle von Migranten an den EU-Außengrenzen.

Herr Weber, wird der Umgang mit der Migration im Europawahlkampf Ihr Top-Thema sein?
Das Top-Thema wird sein, ob es mit Europa gut weitergeht. Wenn Björn Höcke sagt, dass dieses Europa sterben muss, dann entgegne ich als Christsozialer: Das ist unser Europa, das von Politikern von CDU und CSU wie Adenauer, Kohl, Strauß und Waigel aufgebaut wurde, und das lassen wir uns von euch nicht kaputtmachen. Dieses Europa ist für Deutschland Lebensversicherung in einer immer rauer werdenden Welt.

Würde die AfD davon profitieren, wenn es der EU nicht gelänge, vor der Europawahl eine Reform des europäischen Asylsystems hinzubekommen?
Die Menschen, die heute überlegen, bei der AfD oder vielleicht auch links bei Sahra Wagenknecht ihr Kreuz zu machen, sind vor allem in Sorge. Es gibt die Sorge, dass der Staat seinen Vorsorgefunktionen nicht nachkommen oder Grundwerte nicht durchsetzen kann. Vor diesem Hintergrund sind in der Migrationspolitik die bisherigen Worte der Ampel-Regierung zu wenig, es müssen Taten folgen. Die Zahlen der illegalen Ankünfte in Europa müssen schnellstens runter.

Aus der CDU kommt der Ruf, dass Innenministerin Faeser die Grenzkontrollen zu Polen, Tschechien und der Schweiz noch lange fortsetzen soll. Sind Sie einverstanden?
Das Recht im Schengen-Raum erlaubt es, dass solche Grenzkontrollen in besonderen Situationen eingeführt werden. Ich wünsche mir aber, dass wir so schnell wie möglich zum Zustand des offenen Europas zurückkehren. Deshalb müssen die EU-Staaten alle Ressourcen bündeln, um die Außengrenzen der EU wirkungsvoll zu sichern. Wir haben bis Ende des Jahres die Chance, die Gesetzgebung dazu abzuschließen.

Wie konsequent sollen Rückführungen abgelehnter Asylbewerber in Deutschland durchgesetzt werden? Ist Schweden, wo Abschiebungen strikt durchgesetzt werden, ein Modell für Deutschland?
Die Ampel-Koalition kann sich an anderen EU-Staaten mit strengeren Regeln wie Schweden oder Dänemark sehr wohl ein Vorbild nehmen. Und auf europäischer Ebene müssen wir schneller bei den Rückführungsabkommen vorankommen. Europa muss gegenüber den Drittstaaten seine Möglichkeiten ausspielen – etwa beim Zugang zum EU-Binnenmarkt oder bei der Verteilung der Hilfen. Es braucht bei der Migrationspolitik ganzheitliche Ansätze.

Sind Sie sicher, dass scharfe Forderungen in der Migrationspolitik Ihrer Parteienfamilie helfen? Die Wahlen in den Niederlanden haben doch gezeigt, dass strikte Parolen dem Rechtspopulisten Geert Wilders halfen.
Man gewinnt mit dem Thema der Migration keine Wahlen, aber man verliert Wahlen damit. Ich warne davor, über die Migration taktisch zu diskutieren. Wir müssen die offenen Fragen der Reform des EU-Asyl- und Migrationssystems jetzt lösen, weil die Realität dies erfordert – nicht aus parteitaktischen Überlegungen heraus.

Deshalb begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bundesregierung bereit war, eine breite Übereinkunft unter der ganz großen Mehrheit der EU-Staaten mitzutragen. Anders liegen die Dinge im Europäischen Parlament: Die Grünen und Sozialdemokraten dort sind weiterhin nicht bereit, diesen europäischen Konsens zur Asylpolitik zu unterstützen. Die Konsequenz ist klar: Wer sich, wie die Grünen, einem Kompromiss verweigert, trägt Mitverantwortung, dass Rechtsradikalismus in Europa zunimmt.

Wo sollen Grüne und Sozialdemokraten im EU-Parlament einlenken?
Wir wollen eine hundertprozentige Kontrolle an der EU-Außengrenze. Grüne und Sozialdemokraten erwägen hingegen eine stichpunktartige Kontrolle. Das kann ich nicht akzeptieren. Ich möchte wissen, wer sich auf europäischem Grund und Boden befindet. Jeder, der an der EU-Außengrenze ankommt – sei es am Frankfurter Flughafen oder in Lampedusa –, muss registriert werden. Zum anderen muss in der EU-Rückführungsrichtlinie verankert werden, dass jeder, der kriminell wird, sofort abgeschoben wird. Auch hier vertreten Sozialdemokraten und Grüne leider eine andere Position.

Sie haben das Bündnis um Sahra Wagenknecht, das bei der Europawahl antreten will, bereits erwähnt. Wagenknecht fordert im Ukraine-Krieg Friedensverhandlungen.
Bisher erlebe ich sie als eine Politikerin, die versucht, hauptsächlich medial präsent zu sein. Bislang gibt es weder eine Partei noch ein politisches Konzept. Deshalb werden wir die Entwicklung um das Wagenknecht-Bündnis mit aller Gelassenheit anschauen. Wir müssen die Herausforderung angesichts des Krieges in der Ukraine klar einordnen. Selbst wenn der Krieg inzwischen zu einem Stellungskrieg geworden ist, darf man nicht vergessen, welche Ambitionen Wladimir Putin eigentlich verfolgt.

Das heißt?
Putin verfolgt einen Imperialismus. Er möchte unsere Demokratien schwächen und Europa spalten. Finnland hat seine Grenze zu Russland wegen der steigenden Zahl der Migranten vorerst geschlossen. Putin setzt Migranten jetzt wieder als politische Waffe ein. Aus dem Baltikum ist fast täglich von Angriffen auf die digitale Infrastruktur zu hören.

In der Slowakei und Rumänien gibt es eine massive Desinformationskampagne durch Fake News aus Russland, um die dortigen Demokratien zu erschüttern. Mit der Wahl von Robert Fico zum Ministerpräsidenten in der Slowakei ist die Kampagne erfolgreich gewesen. All das zeigt: Wenn Putin in der Ukraine gewinnt, wird er weitermachen.

Und was folgt daraus?
Wir müssen an der Seite derer stehen, die für Freiheit und Demokratie eintreten. Es müssen endlich die nötigen Waffen geliefert werden, auch die „Taurus“-Marschflugkörper. Wir müssen die Ukraine in die Lage versetzen, diesen Krieg zu gewinnen. Alles andere gefährdet die Sicherheit mindestens ganz Europas.

In Berlin herrscht gerade eine Haushaltskrise. Wie fühlen Sie sich gerade eigentlich als Deutscher in Brüssel?
Das Bild von Deutschland als Hort der Stabilität ist schwer erschüttert. Die vielen Schattenhaushalte in Deutschland wurden schon sehr lange kritisch diskutiert. Die hohen griechischen Verteidigungsausgaben schlagen beispielsweise in Griechenland haushaltstechnisch voll zu Buche, wenn es um die Einhaltung der Euro-Stabilitätsregeln geht. Das deutsche Sondervermögen für die Bundeswehr wird hingegen auf EU-Ebene nicht als Minus angerechnet.

Soll die deutsche Schuldenbremse reformiert werden?
Wir dürfen die Lektion, die unser Kontinent in der Euro-Krise gelernt hat, nicht vergessen. Stabilität ist für die Budgets in der EU enorm wichtig. Die deutsche Schuldenbremse ist richtig. Sie ist konsequenterweise im Grundgesetz verankert. Damit wird die Politik gezwungen, die Realität anzuerkennen.

Wir haben in Deutschland kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem. Um daran etwas zu ändern, braucht man mutige Führung. Dazu ist die Ampel offensichtlich derzeit nicht in der Lage, weil die inneren Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern zu groß sind.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will den laufenden mehrjährigen EU-Haushalt um 100 Milliarden Euro aufstocken. Haben Sie Verständnis für Kanzler Scholz, wenn er dabei nur die Mehrausgaben für die Ukraine mit einem Volumen von rund 50 Milliarden Euro erfüllen will?
Ich begrüße, dass das Versprechen an die Ukraine steht. Bei den weiteren Ausgaben, mit denen grüne Investitionen befördert oder die Migration gesteuert werden soll, muss all das finanziert werden, das einen echten europäischen Mehrwert produziert.

Ein konkretes Beispiel: Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat bei seinem Besuch in Berlin jüngst klar signalisiert, dass er die Grenze zur Türkei nur dann noch besser sichern kann, wenn es dafür auch eine gemeinsame europäische Finanzierung gibt. Anders gesagt: Zusätzliche Ausgaben für die Migrationspolitik im EU-Budget sind auch im ureigenen Interesse Deutschlands.

Allgemein wird damit gerechnet, dass Ursula von der Leyen bei der Europawahl ein zweites Mandat als EU-Kommissionschefin anstrebt. Allerdings verzichtet sie auf eine Direktkandidatur fürs Europaparlament. Ist das nicht eine Geringschätzung des Europaparlaments?
Das Europaparlament muss am Ende den Kommissionspräsidenten oder die Kommissionspräsidentin wählen, deshalb gibt es keinerlei Geringschätzung. Es braucht dafür eine Mehrheit der Abgeordneten. Mir ist wichtig, dass das Europäische Parlament nach der Wahl dem nächsten Kommissionspräsidenten oder der -präsidentin ein klares Mandat für die nächsten fünf Jahre mit auf den Weg gibt. In der laufenden Legislaturperiode war der „Green Deal“ das beherrschende Thema. In der kommenden Periode wird es um einen „Wohlstands-Deal“ gehen: Wir müssen angesichts tiefgreifender Veränderungen den Wohlstand auf unserem Kontinent sichern.

Bis wann sollte sich von der Leyen entscheiden, ob sie bei der Europawahl als Spitzenkandidatin Ihrer Parteienfamilie, der EVP, antritt?
Meine Partei will den Kandidaten oder die Kandidatin Anfang März kommenden Jahres in Bukarest formal nominieren. Es besteht da jetzt kein Zeitdruck. Wenn sie sich entscheidet, bei der Europawahl als EVP-Spitzenkandidatin anzutreten, dann hat sie die Pole Position.

Quelle : Tagesspigel

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