Home » Ein Jahr Lang Ohne Haftprüfung in Untersuchungshaft
Deutschland Europa Nachrichten Skandinavien Wirtschaft

Ein Jahr Lang Ohne Haftprüfung in Untersuchungshaft

Ein Richter war krank, seine Vertreterin hatte mit eigenen Haftsachen zu tun: Deshalb befand das OLG Frankfurt erst nach einem Jahr über die U-Haft eines Mannes. Das Bundesverfassungsgericht meint nun: So geht das nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines Mannes stattgegeben, der ein Jahr lang ohne Haftprüfung in Untersuchungshaft gesessen hatte. Laut dem im September ergangenen Beschluss ist er deshalb wegen überlanger Dauer des Haftprüfungsverfahrens in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt. Er war am 30. Juni 2022 aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt festgenommen worden, ihm werden Wirtschaftsstraftaten zur Last gelegt. Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied jedoch erst am 26. Juni 2023 über die Fortdauer der Untersuchungshaft, welche sie an diesem Tag anordnete.

Die Staatsanwaltschaft hatte fünfeinhalb Monate nach Beginn der Untersuchungshaft, im Dezember 2022, die Fortdauer beantragt und die Akten an das Oberlandesgericht übersandt. Zunächst dauerte es zwei Wochen, bis die Akten bei der Geschäftsstelle eingingen. Einen Tag darauf gab der Vorsitzende Richter des zuständigen Senats den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme, was die Verteidigung am 9. Januar 2023 tat. Der Beschuldigte beantragte die Aufhebung des Haftbefehls.

Zuerst „eigene“ Haftsachen bearbeiten

Weil es in den darauffolgenden Monaten keine Entscheidung gab, wandte sich der Mann am 29. März schriftlich an den Senat und fragte, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Er bekam die Antwort, dass der als Berichterstatter für das Verfahren zuständige Richter krank sei und längerfristig ausfalle. Seiner Vertreterin – die das Antwortschreiben verfasste – liege das Verfahren erst seit dem 24. März vor, also seit fünf Tagen. Sie schrieb weiter, dass sie jedoch zuerst „eigene“ Haftsachen bearbeiten müsse und ein Urlaub anstehe. Deshalb könne sie nicht absehen, wann eine Entscheidung ergehen werde. Später fügte sie in einem Vermerk noch hinzu, dass es in ihrer Familie einen Corona-Fall gebe. Am 16. Juni ging die Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein, am 26. Juni ordnete das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

Die Karlsruher Richter erklärten die Verfassungsbeschwerde trotz der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung für zulässig: Das Rechtsschutzbedürfnis sei dadurch nicht entfallen. Das Oberlandesgericht habe „tiefgreifend“ in das Recht des Mannes eingegriffen, weil es um die Überprüfung eines Freiheitsentzugs gegangen sei, „der seinerseits einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff“ darstelle. Daher bestehe das schutzwürdige Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Prüfung weiter.

Zur überlangen Dauer des Haftprüfungsverfahrens stellte Karlsruhe fest: „Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit.“ Die Richter verwiesen neben dem Satz „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“ aus Artikel 2 Grundgesetz auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention, wonach jede festgenommene Person das Recht hat, zu beantragen, dass innerhalb kurzer Zeit ein Gericht über den Freiheitsentzug entscheidet. Insbesondere bei einem anhängigen Strafverfahren müsse rasch entschieden werden, „damit die festgenommene Person vollen Umfangs in den Genuss der Unschuldsvermutung kommt“.

Verzögerung über mehrere Monate

Das Oberlandesgericht sei den strengen anzulegenden Maßstäben nicht gerecht geworden. Die Gründe, die es angeführt habe, um die lange Dauer zu erklären, seien nicht geeignet, eine Verzögerung über mehrere Monate zu rechtfertigen. Zudem liege es in der Verantwortung des Gerichts, dass auf die seit November 2022 bestehende Erkrankung des Richters erst im März 2023 reagiert wurde. Und auch dann seien noch einmal mehr als drei Monate bis zur Entscheidung vergangen.

Die Strafprozessordnung sieht vor, dass nach sechs Monaten eine Haftprüfung stattfindet, anschließend alle drei Monate. Zwar lagen die Akten dem Gericht vor Ablauf der Sechsmonatsfrist vor, wodurch die Frist bis zu einer Entscheidung ruht. Weil die Entscheidung aber erst sechs Monate später erging, hat das Oberlandesgericht dem Mann laut Bundesverfassungsgericht „faktisch“ nicht nur die erste Haftprüfung genommen, sondern auch die Nachprüfung nach neun Monaten.

Quelle : faz

Recent Comments

No comments to show.

Übersetzen